Josua auf der Intensivstation

Seit ein paar Tagen versuche ich jetzt schon für diesen Teil von Josuas Geschichte die passenden Worte zu finden. Warum fällt mir das nur so schwer?

Wer Josuas Geburtsbericht jetzt schon gelesen hat, ist vielleicht jetzt auch gespannt ein paar mehr Dinge über seine ersten Wochen/Monate zu lesen. So viele Wunder wir in diesen Tagen bis zu Josuas Geburt erlebt hatten, so überrascht war ich selbst über meine gespaltenen Gefühl, meine Unsicherheiten meine Ängste in dieser Zeit nach seiner Geburt. Ja, ich glaubte fest, dass Josua leben sollte, weil Gott ihm Leben geschenkt hat und doch fand ich mich in dieser Zeit mit so vielen neuen Ängsten konfrontiert, von denen ich dachte, ich sie leichter abtuen könnte, da ich Gott so nah erlebt habe….Naja, ich fange jetzt einfach mal an, kann gut sein, dass ich etwas durcheinander schreibe, was ihr entschuldigen müsst. Oder vielleicht gibt euch das einen Einblick wie es mir selbst noch geht, wenn ich an diese Zeit zurückdenke…

Vor zwei Wochen waren wir nochmal in der Klinik. Josuas Vier-Monats Check in der Neo-Ambulanz stand an. Allein die Fahrt dorthin rief so viele gemischte Gefühle in mir auf und als uns dann noch ein Krankenwagen im Einsatz überholt hat, musste ich erstmal schlucken. Ob das je wieder anders werden würde? Und ich nicht immer Gänsehaut bekomme, wenn ich eine Sirene höre oder wir an einem Krankenhaus vorbei fahren? Ich weiss es nicht…Es ist auf alle Fälle noch sehr präsent und doch ist es manchmal so, als hätte ich das nur wie im Traum durchlebt diese langen Tage auf der NEO nach Josuas Geburt aber fangen wir von vorne an:

02.01.2019 / 16:23 Uhr war der Zeitpunkt von Josuas viel zu früher Geburt. In der 25+5 SSW kam er zur Welt. Im Vorfeld hieß es zu uns, dass er eine 30% Überlebenschance hätte und davon eine rund 10%-ige, dass er gesund sein würde (Neben den 10% die gesund bleiben, versterben 10% nach der Geburt und 10% sind stark behindert). Nachdem ich also starke Wehen bekommen hatte, entschied sich die Ärztin nach langem Überlegen und Beraten dazu, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Josua hatte einen recht hohen Puls und man vermutete eine Infektion bei ihm und das die Schmerzen eine Reaktion meines Körpers darauf waren. Ich gab Samy daraufhin sofort Bescheid, der so schnell er konnte einen Babysitter organisierte und sich zu uns auf den Weg machte (er kam dann aber doch nicht mehr rechtzeitig dazu 🙂 Ich bekam einen OP-Kitteln an und wurde in den direkt gegenüber liegenden OP geschoben. Mein erster Kaiserschnitt also, die anderen drei kamen auf natürlichem Wege. Wie in Zeitlupe nahm ich dann wahr, wie die Ärzte sich anzogen, desinfizierten, letzte Absprachen trafen. Im Nebenzimmer machten sich die Schwestern und Ärzte der Neo für die Erstversorgung Josuas bereit. Ich entdeckte den Arzt, der mich im Vorfeld über die Neo und deren Vorgehensweise aufklärte, er winkte mir kurz zu.

Mir wurde erklärt was jetzt gemacht wird: ich musste mich aufsetzen, einen Katzenbuckel machen und bekam die Spritzen für die Anästhesie in den Rücken gesetzt. Mit dabei, genau die richtige Hebamme, die mich die letzten Tage immer wieder betreut hatte, kompetent und erfahren, absolute Ruhe ausstrahlte und mir Mut zusprach. Keine 10 Minuten später war Josua schon da und ich durfte ihn kurz sehen, bevor er zur Erstversorgung dem Neo-Team übergeben wurde. Mein erster Eindruck: Er sah aus wie unser dritter Sohn, Silas. Zuckersüsse Schnute. Und winzig war er, so so winzig. Der nette Anästhesist verwickelte mich in ein Gespräch und hielt meine Hand, bis Samy dazu kam und ihn ablöste. Das Hämatom das die Plazenta ablöste, wurde abgesaugt (fast 1 Liter Blut), ich wurde genäht und kam zur Überwachung in ein kleines Zimmer mitten im Kreißsaal von wo ich dann am späten Abend in ein Zimmer auf Station verlegt wurde. Samy durfte sehr schnell zu Josua gehen und ihn sehen und er war ja so begeistert, machte Fotos und Videos für mich, damit ich ihn auch noch sehen konnte. Auch die liebe Hebamme brachte uns direkt zwei Fotos von ihm. Das war so besonders für uns! Ich war furchtbar erschöpft und müde und doch fand ich in keinen Schlaf – ich fragte die Hebamme, ab wann ich abpumpen könnte und durfte auch gleich loslegen…ich wollte einfach etwas tun und nicht nur herumliegen.

JOSUA´S erste Lebenstage

Josua kam auf die Neo 3, die Station für die beatmeten Kinder. Er schaffte es von Tag 1 selbst zu atmen, brauchte aber durch den/das (keine Ahnung welcher Artikel da passt?) CPaP Beatmungs-Unterstützung. Das Gerät pustete mit Druck Sauerstoff in die Lunge, damit ihm das einatmen leichter fällt. Er kam in einen Inkubator und bekam Kabel gelegt zur Überwachung der Atmung, vom Puls und der Herzfrequenz. Zur Sauerstoffsättigung hatte er am Fuss einen Sensor. Zusätzlich wurde ihm direkt einen Zugang gelegt um mit der Antibiose anzufangen, weil man ja eine Infektion vermutete. Am nächsten Tag gab es dazu aber auch schon Entwarnung: die Infektion hat sich nicht bestätigt. Was sind wir dankbar. Ich hatte darüber im Vorfeld nichts gutes gelesen. Die kritischsten Punkte waren die Lunge, der Darm, das Herz, das Gehirn. Und später die Augen.

Die nächsten Tage werden ausschlaggebend: in den ersten 7 Lebenstagen kann es zu Hirnblutungen kommen, was natürlich auch gefährlich werden kann. Ich versuche so oft ich kann bei ihm zu sein, solange ich mich selbst noch vom Kaiserschnitt „erhole“. Mir geht es nicht wirklich gut – autsch ist das Schmerzhaft. Ich quäle mich und versuche so oft es geht aufzustehen und zu laufen. Wieder in die Bewegung zu kommen, da ich ja lang genug im Vorfeld lag. Am 06.01. darf ich dann das erste mal mit Josua kuscheln – was ab da unsere Lieblingsbeschäftigung werden sollte. So Haut auf Haut, ganz nah bei mir, wo er ja eigentlich auch noch hingehörte, da fühlten wir uns beide komplett. Wäre da nicht das dauernde alarmierende gepiepse. Es ist einfach anders, mit einem „Reifgeborenen“.

Ich hab Tagebuch geführt und jeden Tag etwas zu Josuas Wohlbefinden aufgeschrieben. Im Großen und Ganzen kam es genau so, wie die Ärzte uns im Vorfeld gesagt haben: Es war ein stetiges Berg auf, Berg ab. Ging es ihm an einem Tag gut („Gut = wenig Alarme“, gute Vitalwerte), piepste es am nächsten Tag ständig, machte er Abfälle usw.

Auszüge aus dem Tagebuch

  • 08.01. ich darf nach Hause
  • 09.01. du bekommst Blut und ab sofort sind wir ein Isolationszimmer, wegen einem übertragbaren aber (für gesunde) ungefährlichen Hautkeim
  • 10.01. du musst nochmal unter die Blaulichtlampe wegen deinem erhöhten Bilirubin-Werten
  • 17.01. du bekommst einen Luftballon „Juhu, ich bin 1kg schwer“
  • 24.01. Die schrecklichen Atempausen setzen ein
  • 28.01. man entdeckt, dass du beidseitig Leistenbrüche hast
  • 31.01. Ist wirklich erst ein Monat rum?
  • 07.02. du bekommst zum zweiten Mal Blut
  • 09.02. Papa kommt zu einer Extra-Kuschelrunde vorbei
  • 10.02. Bist jetzt ein 8-Mahlzeiter, d.h. alle drei Stunden 29 ml über die Sonde
  • 12.02. ich darf dich zum ersten Mal anziehen
  • 13.02. Du ziehst ins Wärmebettchen um
  • 14.02. Aus dem Fläschchen trinken wird geübt
  • 19.02. Umzug auf die NEO 2
  • 04.03. erstes Mal längere CPaP-PAUSE
  • 05.03. erster Stillversuch
  • 12.03. Umstieg von CPaP auf Sauerstoffbrille
  • 13.03. Du entfernst dir selbstständig die Magensonde aus dem Mund und man entscheidet es ohne zu versuchen (du brauchst sie nicht mehr wieder!)
  • 17.03. Erste Nacht ganz ohne Beatmungshilfe
  • 20.03. Leistenbruch-OP, verlief ohne Komplikationen und Oma Cami sieht dich heute das erste Mal
  • 21.03. Umzug auf NEO 1
  • 22.03. Heute lernst du endlich deine Brüder kennen!!! Und unsre Freundin Lilly
  • 24.03. Coffein wurde abgesetzt
  • 29.03. Du hast eine Erkältung – liegst wieder am CPaP auf der NEO 2, bekommst Antibiotikum
  • 12.04. Happy Due Date und 100. Lebenstag
  • 13.03. Schönster Tag für uns – heute geht es für dich nach HAUSE

Gefühlswelt

Kurz nach Weihnachten, als ich mit Josua im Bauch noch mitten im Kreißsaal lag (für mehr Infos hier klicken: https://wordpress.com/block-editor/post/raisingfourwolves.home.blog/5) kam ich an den Punkt, an dem ich alles über Frühchen wissen wollte und so fing ich an eine Doku nach der anderen zu schauen, Berichte zu lesen nach Erfahrungen von anderen zu googeln. Ich glaub ich hab so ziemlich JEDE Doku auf YouTube über Frühchen gesehen, haha. Ich wusste einiges und doch war ich auf nichts vorbereitet, was mir/uns da begegnete. Das viele Leid um einen herum, nicht nur die eigenen Gefühle, sondern auch die der mitleidenden anderen Mamas. Das 3-stündliche Abpumpen Tag und Nacht, die vielen Gedanken, Sorgen, Informationen, die es alle zu verarbeiten galt. Das tägliche hin und her, die immer grösser werdende Abneigung sich auf den Weg zu machen und das schlechte Gewissen, nicht so viel bei ihm sein zu können und auch darüber, nicht bei meinen Jungs zu Hause zu sein.

Das man sein Kind komplett anderen und fremden Menschen überlässt.

Ja ich vertraute Gott (tue es immer noch!) und ich war mir noch nie so sicher genau an dem richtigen Ort zu sein (wenn Gott die Führung übernimmt, kann das ja nur so sein) und doch muss ich gestehen, wie schwach, hilflos und ausgeliefert ich mich gefühlt habe und auch jetzt noch öfter fühle. Was sich für mich verändert hatte, im Vergleich zur Zeit vor Josua, war die Tatsache, dass ich nicht nur über mein „Baby im Bauch“ gesprochen habe sondern er nun auf der Welt war, wir ein Gesicht zu ihm hatten. Es ist so eine Mischung aus: „Ich habe Angst, welche Wege Gott noch mit uns geht“, „Herr, ich vertraue, mach mich ruhig“ und „Vertrauen heisst loslassen, es Gott zu überlassen“ „Kann ich es nicht beeinflussen?“. Ich habe festgestellt: Vertrauen erfordert Harte Arbeit. Leicht ist es nicht und doch so lohnenswert! Wem kann man besser vertrauen, wenn nicht dem, der das Leben erfunden hat?

„Wir sehen ein paar Zeilen, du siehst das ganze Buch“

18.März 2019 / Josuas Wärmebett. Namensschild gemalt von Elias und Foto der Brüder „Der dich behütet, schläft nicht. psalm 121,3 / Wir warten zu Hause auf dich, Josua.

Ach, es gäbe noch so viel zu erzählen, aber für heute ist es erstmal genug.

Das waren so im Groben die ersten 101 Tage seines Lebens. In diesen Wochen flossen so viele Tränen, feierten wir das Leben, Geburtstage, freuten wir uns übers Zusammensein, vermissten Josua schmerzlich in unserer Mitte, fanden als Familie wieder zusammen, bangten wir, trauerten mit Eltern, deren Kinder nicht überlebten und über Diagnosen. So langsam die Tage vor Josuas Geburt vestrichen, so rasten sie in dieser Zeit an uns vorbei und doch gab es irgendwie kein Ende…. Doch, halt, das gab es, am 13. April 2019, einen Tag nach ET (Errechnetem Geburtstermin) wurde Josua entlassen. Und mit ihm: ein Heimmonitor und ein mobiles Sauerstoffgerät. Er war fit und bereit endlich nach Hause zu kommen auch wenn seine Lunge noch Zeit benötigte, die wir ihm nur zu gern in unseren eigenen vier Wänden gaben.

Was für eine Freude ihn da rauszuschieben. Die Türen hinter sich zugehen zu sehen und zu wissen: Ich muss hier am nächsten Tag nicht wieder hin, Josua ist jetzt bei uns. Es war einfach das Grösste, ihn zum ersten Mal an der frischen Luft zu sehen dazu die Sonne im Gesicht, durchzuatmen, ihn nach Hause zu bringen wo er hingehörte und wo das Abenteuer Grossfamilie losging.

HERR, mein Gott, groß sind deine Wunder und deine Gedanken, die du an uns beweist. Dir ist nichts gleich. Ich will sie verkündigen und davon sagen; aber sie sind nicht zu zählen.

— Die Bibel, Psalm 40,5
13. April 2019: Ab nach HAUSE